Südtirol
Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Studienverlag, Innsbruck-Wien-München-Bozen 2003, 129 Seiten.
Wie in einem Brennglas findet sich in der Geschichte Südtirols die Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder: Vergewaltigung einer Minderheit durch die Faschisten, das Zusammenspiel der Diktatoren Hitler und Mussolini, das 1939 mit der "Option" zur "ethnischen Flurbereinigung" führen sollte. Nach 1945 in den Mühlen des Kalten Krieges, keine Rückkehr nach Österreich, dafür eine Autonomie, die sich als Scheinautonomie erwies. Dann Bomben, Tote, Terror und mit dem "Paket" 1969 der zweite Versuch einer Autonomie, der heute von vielen Modellcharakter zugesprochen wird.
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Vorbemerkung
Wie in einem Brennglas findet sich in der Geschichte Südtirols ein Stück Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder. Es ist alles da: der Erste Weltkrieg mit seinen verheerenden Auswirkungen, die "Friedensverträge", mit denen zahlreiche Minderheitenprobleme erst geschaffen und verschärft wurden. Ein fast hundertprozentig deutschsprachiges Südtirol, das seit mehr als fünf Jahrhunderten zu Österreich gehört hatte, wurde Italien als "Kriegsbeute" zugeschlagen - mit der Grenze am Brenner; ein Österreich, das in seiner Schwäche Südtirol nicht beistehen konnte, Vergewaltigung einer Minderheit durch die Faschisten, die Auswirkungen des aufkommenden Nationalsozialismus und schließlich am Ende einer ersten Phase das Hitler-Mussolini-Abkommen aus dem Jahre 1939, das zum Experiment einer "ethnischen Flurbereinigung" werden sollte. 86 Prozent der Südtiroler trafen damals die Wahl - Option wurde das genannt -, das Land zu verlassen und "Reichsdeutsche" zu werden; rd. 75.000 gingen tatsächlich. Die Auswirkungen dieser Entscheidung lassen sich von der höchsten Ebene der Regierungen bis hinunter ins kleinste Dorf verfolgen und sind bis heute nicht vergessen.
Dann der Zweite Weltkrieg - mit Italien erst auf der einen, dann auf der anderen Seite - und die entsprechenden Auswirkungen auf Südtirol. Nach Kriegsende ein Italien, das sich demokratisch gab, und ein Südtirol, das frühzeitig in die Mühlen des Kalten Krieges geriet. Eine Rückkehr zu Österreich wurde von den Siegern abgelehnt; sie hielten an der Brennergrenze fest. Auf Druck der Briten kam es dann im September 1946 zu einem Autonomieabkommen zwischen Österreich und Italien. Deutschland spielte nach 1945 keine Rolle mehr, sondern das Österreich der Zweiten Republik, das seit 1946 zwar "Schutzmacht" Südtirols, aber besetzt und schwach war und erst seit dem Staatsvertrag 1955 langsam aktiv wurde.
Italien hatte Südtirol 1948 eine Autonomie zugestanden, die sich als Scheinautonomie erwies. Enttäuschte Hoffnungen führten so Ende der fünfziger Jahre zur Verschärfung der Lage in Südtirol - mit der Forderung nach Selbstbestimmung und dann nach einer wirklichen Autonomie. Es folgte Österreichs Weg zur UNO, der begleitet war von Bombenattentaten in Südtirol. Dann gab es Tote, schließlich 1969 mit dem "Paket" den zweiten Versuch einer Autonomie. Nach jahrzehntelangen Verhandlungen endlich 1992 die offizielle Beilegung des Streits zwischen Österreich und Italien mit einer Autonomie, die als Modell für die Lösung der mit dem neuen Nationalismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts einhergehenden Probleme dienen könnte.
Etwa 40 Kilometer südlich von Innsbruck liegt jene Brennergrenze, hinter der die Ortsnamen zweisprachig sind und wo - zur Überraschung so mancher Touristen aus Deutschland - plötzlich Italien ist und italienisch gesprochen wird, aber auch - zur Überraschung so mancher italienischer Touristen - deutsch; wo man auf dem Waltherplatz in Bozen einen Cappuccino trinken kann und sich mancher fragen mag, wie alles gekommen ist.
Die beiden Volksgruppen in Südtirol haben jahrzehntelang gegeneinander gelebt; auf Südtiroler Seite gab es berechtigtes Mißtrauen, fühlten sich doch die Italiener - und handelten auch so - als die Herren im Haus, das aus Südtiroler Sicht nicht deren Haus war. Für die Italiener waren die Südtiroler "allogeni", "Fremdstämmige", oder gar "valligiani dalle calze bianche", "Talbewohner mit den weißen Strümpfen". Auch nach 1945 verstanden sie die Südtiroler nicht, weder ihre Sitten und Gebräuche, noch ihre Sprache. Man wollte und mußte die "alloglotti", die "Fremdsprachigen", auch gar nicht verstehen, schließlich war man ja in Italien, und Südtirol war italienisches Territorium - und würde es auch bleiben. Oder etwa nicht? Das alles war eine Mischung aus Ignoranz und Präpotenz und mußte fast zwangsläufig zum Konflikt führen - der dann ja auch kam. Erst in den letzten Jahren wurde das Mißtrauen etwas abgebaut; heute gibt es ein geregeltes Nebeneinander, allerdings kein Miteinander. Das lag und liegt auch daran, daß die Italiener wenig oder gar nichts von der Geschichte dieses Landes kannten und kennen, was manchmal allerdings auch für die deutschsprachigen Südtiroler gilt.
Vielleicht lädt diese Geschichte zur Lektüre ein, die gleichzeitig auf italienisch unter dem Titel "Alto Adige/Sudtirolo 1918-1999" erscheint. Ausführlicher zum Thema meine folgenden Arbeiten im STUDIENVerlag: "Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit", Innsbruck-Wien 1997, 19993; "Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente", Innsbruck-Wien 1999.
Wer mehr über die Zeit von 1947 bis 1969 erfahren möchte, sei auf meine vom Südtiroler Landesarchiv herausgegebene dreibändige Darstellung "Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947-1969" verwiesen, die parallel zur vorliegenden Arbeit in der Verlagsanstalt Athesia, Bozen, erscheint.
Reaktionen
"Gesamtdarstellung, die in wissenschaftlich knapper und dennoch überaus ansprechender Form die komplexe Südtirol-Problematik aufarbeitet."
Der Tagesspiegel (Berlin), 31.1.2000.
"Der gebürtige Deutsche gilt als einer der besten Kenner der Materie."
Der Standard, 26.1.2000