Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958-1963
(2001), 416 Seiten. kart. 36;- DM
Verlag Olzog, München
Das neue Buch von Rolf Steininger, in dessen Zentrum die Berlinkrise mit dem Mauerbau am 13. August 1961 steht, ist ein typisches Produkt dieses Autors. Einmal mehr hat der renommierte Innsbrucker Zeitgeschichtler durch intensive und erfolgreiche Recherchen in britischen und amerikanischen Archiven, über deren - von Zufällen immer wieder begleiteter - Mühsamkeit er in einer instruktiven "Einleitung" redlich und eindrucksvoll Auskunft gibt, eine grundlegend verbesserte Quellenbasis geschaffen. Mit Steiningers subtiler Studie erreicht die Aufhellung dieser zentralen Phase des Ost-West-Konflikts, die von den zeitgenössischen Akteuren gelegentlich gefährlicher als die Kubakrise eingeschätzt wurde, eine neue Qualitätsstufe.
Rolf Steininger gelingt es einmal mehr, die kompliziert verlaufenden Fäden der dichten bi- und multilateralen Verhandlungen nachvollziehbar zu entwirren und Akten geradezu spannend zu verlebendigen, d.h. in offene Politik zu verwandeln.
Zu den wichtigsten Ergebnissen, die Steininger solide absichert und umsichtig ins Bewusstsein hebt, gehören:
1. Dass Adenauer ab Frühjahr 1959 - entgegen seinen parallelen öffentlichen Bekundungen intern einräumte: "Wenn wir den Status quo für Berlin und die Zone behalten, haben wir für heute so gut wie alles erreicht. Wiedervereinigung - wer weiß wann", was den Bundestagspräsidenten Gerstenmaier feststellen ließ, "daß damit klar gesagt sei, dass wir unsere bisherige These, Wiedervereinigung durch Geschlossenheit und Stärke des Westens, vorläufig nicht realisieren könnten. Also geteiltes Deutschland".
2. Dass die amerikanische Position, wie aus einer Aufzeichnung der Vereinigten Stabschefs für Verteidigungsminister McNamara vom September 1960 prägnant hervorgeht, sich früh auf West-Berlin konzentrierte: "Die amerikanische Garantie für die Freiheit West-Berlins ist der Pfeiler, auf dem unsere Bündnisse weltweit ruhen. Überall in der Welt verfolgen unsere Verbündeten und die Neutralen gleichermaßen ganz genau, wie und mit welchem Erfolg wir unseren Verpflichtungen nachkommen. Würden wir in West-Berlin scheitern, würden unsere Bündnisse geschwächt, würden wir West-Berlin aufgeben, würden sie zerstört".
3. Dass die Möglichkeit einer Abriegelung der Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin vom CIA schon im November 1957 gemutmaßt wurde und sich im März 1961 - so der US-Botschafter in Moskau L. E. Thompson - zu einer erwarteten Wahrscheinlichkeit verdichtete: "Falls wir davon ausgehen, dass die Sowjets die Berlinkrise nicht weiter verschärfen, dann müssen wir zumindest damit rechnen, dass die Ostdeutschen die Sektorengrenze abriegeln, um den für sie unerträglichen Flüchtlingsstrom durch Berlin zu stoppen".
4. Insofern war die amerikanische Administration von dem Mauerbau keineswegs überrascht und betrachtete ihn eher mit Erleichterung. Daher schlussfolgert Steininger mit Recht: "Was für die Deutschen ein Schock war, war für die Amerikaner lediglich das logische Ende einer Entwicklung" und fügt zuspitzend, aber zutreffend hinzu, dass Kennedy im Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus lieber hätte sagen sollen: "Ich bin ein West-Berliner".
Dies sind nur Hinweise und sollen natürlich die Lektüre nicht entbehrlich machen - ganz im Gegenteil. Denn Steiningers durch Klarheit in Sache und Sprache gekennzeichnete Analyse macht nicht allein Verlauf und Ende der Berlinkrise 1958-1963 plausibel, sondern schafft zugleich ein fundamentales Verständnis für die frühen Festlegungen der westlichen Politik, wie sie - für nicht wenige desillusionierend - im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 sichtbar wurden.
Seeheim, Werner Ripper
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