Rolf Steininger: Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlin- Krise 1958-1963. Olzog Verlag, München 2001. 441 Seiten, 36,- Mark.
In Kürze jährt sich der 13. August 1961, der Beginn des Mauerbaus in Berlin, zum 40. Male. Dafür kommt die Studie des Innsbrucker Zeithistorikers gerade rechtzeitig. Der von Ulbricht geforderte und vom Warschauer Pakt gebilligte, offensichtlich von Chruschtschow vorgeschlagene Mauerbau machte die "Zone" - wie Adenauer bitter kommentierte - zu einem "großen Gefängnis". Die seit 1945 bestehende Teilung Deutschlands wurde im wörtlichen Sinne zementiert. Bei späteren Versuchen, die Mauer zu überwinden und in den freien Westen zu gelangen, wie das seit 1949 knapp 2,7 Millionen Bewohnern der DDR gelungen war, verloren nach Steiningers Angaben 255 Menschen ihr Leben.
Die Bundesregierung reagierte auf die Abriegelung des Ostsektors mit hilflosem Abwarten auf Gegenmaßnahmen der für Berlin zuständigen westlichen Bündnis- und Schutzmächte. Diese jedoch taten nichts. Deren Regierungen hatten längst mit Gewaltmaßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms gerechnet. Die Westmächte gingen davon aus, daß sich der Kreml mit der neuerlichen Absicherung seiner Kriegsbeute zufriedengeben würde. Sie waren bereit, mit dem Status quo in der Viersektorenstadt die "Friedensgrenze" zu akzeptieren.
Adenauers Entschluß, nicht sofort nach Berlin zu fliegen, ist oft kritisiert worden. Er glaubte, daß sein Erscheinen an der Sektorengrenze unkontrollierbare Reaktionen bis hin zu einem Aufstand in der Zone auslösen könnte. Nach seiner Einschätzung stand die "eigentliche Krise" in der von Chruschtschow seit November 1958 geschürten Krise erst noch bevor - wenn die Sowjets versuchen würden, die Westmächte aus Berlin zu verdrängen. Für diesen Fall befürchtete der Bundeskanzler einen Konflikt bis hin zu einem Nukleareinsatz. Mit dieser Möglichkeit hatte ihn Außenminister Dulles im Februar 1959 schockiert; Kennedy wiederholte sie im November 1961.
Der Friedensbeitrag, den Adenauer durch seine Zurückhaltung in der Berlin-Krise, die sich über vier Jahre hinziehen sollte, geleistet hat, ist 1991 von Hans-Peter Schwarz herausgearbeitet, aber kaum beachtet worden. Steininger nimmt dieses Ergebnis in den "Versuch einer Synthese" des Forschungsstands auf. Er ergänzt ihn durch minutiöse Nachzeichnung der Überlegungen und Entscheidungen in den Regierungszentralen in London und Washington entlang der Chronologie der dokumentarischen Überlieferung. Danach ist es dem Bundeskanzler gelungen, die Westmächte durch hartnäckiges Beharren auf der gemeinsamen Vertragsposition - Zusammenwirken zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands - daran zu hindern, sich auf einer von Chruschtschow geforderten Gipfelkonferenz auf eine neue Deutschland- und Berlin-Politik zu verständigen.
Die angelsächsischen Regierungen waren bereit, die DDR anzuerkennen und im weiteren Verlauf der Krise für den Zugang nach Berlin auch eine internationale Behörde - mit DDR-Beteiligung - zu akzeptieren. Spätere Überlegungen zielten auf eine Verselbständigung der Stadt bis hin zu dem utopischen Plan, das leidige Berlin-Problem durch die Aufgabe des Westteils der Stadt und einen Bevölkerungsaustausch, verbunden mit einem Gebietsaustausch mit Teilen der DDR, zu lösen. Den sowjetischen Pressionen gegenüber beharrte nur der französische Staatspräsident de Gaulle auf den alliierten Berlin-Rechten, ohne daß er deswegen etwa die Wiedervereinigung sonderlich befürwortet hätte. Seine klare Haltung erleichterte Adenauer, der von den angelsächsischen Mächten enttäuscht war, den Weg zum Freundschaftsvertrag mit Frankreich im Januar 1963.
Steininger belegt das "extrem schwierige" Ringen des Bundeskanzlers mit Kennedy und vor allem mit Macmillan, dem "besten Verbündeten Chruschtschows", der "nichts für die Deutschen und gar nichts für Adenauer und dessen Politik übrig" gehabt habe. Bezeichnend für Kennedys Verdruß über Adenauers Bremswirkung ist dessen drastische Formulierung, daß die Deutschen selbst einmal "ihre Schnauzen" in den "Schweinetrog" Berlin stecken sollten.
Die Konfrontation der Supermächte in Berlin am 27. Oktober 1961, als sich am Checkpoint Charlie amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden, ist nur deswegen nicht außer Kontrolle geraten, weil sich Kennedy und Chruschtschow insgeheim (über einen privaten Kanal) verständigten. Die Sowjetunion schuf durch ihr Vorgehen in Berlin Fakten, die Jahre später die Westmächte und schließlich auch die Bundesrepublik schrittweise akzeptierten.
Für seine dicht belegte Darstellung stützt sich Steininger auf die von ihm erschlossenen britischen und amerikanischen "Top secret"-Akten. Dazu wertet er die Dokumente zur Berlin-Krise aus, die in den Vereinigten Staaten inzwischen in acht Bänden ediert, in der Bundesrepublik aber kaum zur Kenntnis genommen worden sind. Dabei macht es dem Verfasser spürbare Freude, die eigenwillige (Zensur-)Praxis des State Department in der (Nicht-)Freigabe brisanter Akten zu ironisieren, um demgegenüber sein eigenes Entdeckergespür um so deutlicher herauszustreichen. Allerdings verspricht der Titel des Buches insofern zu viel, als die Berlin-Politik de Gaulles wie die Adenauers fast ausschließlich über den Umweg der britischen und amerikanischen Quellen erschlossen wird. Ob Steiningers Ergebnisse Bestand haben, wird sich zeigen, wenn eines Tages auch die heute noch verschlossenen Berlin-Dokumente in Bonn, Paris und Moskau zugänglich sein werden.
RUDOLF MORSEY
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